Samstag, 25. April 2020

Ob ich es wage, hier zu veröffentlichen?

Ein Artikel und in jedem Satz WAHR. Und ich kann jede Menge darauf setzen. Es ist zT. unglaublich, was wir Lehrer so mit uns machen lassen.

Gestern gab es eine offizielle Schulveranstaltung zum Namenstag der Schule. Vorab wurde unter den Kollegen gesammelt, um Getränke anbieten zu können. Die Schüler gestalteten ein grandioses Kulturprogramm. Die Schulleiterin saß im Publikum und sagte: Nichts! Kein Danke an die Schüler, keinen Glückwunsch an die Kollegin, die es organisiert hat, keine Begrüßung der geladenen Gäste.... Lehrer haben Kuchen gebacken, um die Gäste zu bewirten. Es war ein berührender Tag!

Gesamtelternkonferenz: Unsere Schulleiterin lobt das Kulturprogramm von gestern vor den Eltern.

Corona-Time: Werden wir schließen? Die Schulleiterin meint gegenüber den Eltern, alle Kollegen könnten Aufgaben über WebUntis verteilen. Am Montag soll es in der Gesamtkonferenz darum gehen. Ob diese Versammlung tatsächlich noch stattfinden wird? Im Moment ändert sich alles im Minutentakt.

Montag: Schulschließung ab Dienstag. Auf der Suche nach dem passenden Tool, was uns durch die nächsten Wochen begleitet. Oh wie spannend. Was für eine Gelegenheit, auszuprobieren, was mit den IPads noch alles so geht. Bei aller Sorge um die Gesundheit, freue mich über diese ungewöhnliche Gelegenheit.

Mittwoch: Alle waren anwesend. Beim zweiten Online-Deutschunterricht war die gesamte Klasse da. Natürlich ging es chaotisch zu. Das liegt an mir, aber so ist es eben. Ich glaube, die Kids mögen es auch ein bisschen. Witzig ist, wie sie helfend eingreifen, wieviel Geduld sie haben, wenn die P. mal wieder etwas länger braucht.
Gestern ging es um Sachtexte. Bis wir anfangen konnten-oh man. Erst warten bis der letzte Online ist, dann Bildschirmfreigabe und dann, mitten im Unterricht, fiel bei mir der Ton aus. Pause. Nach der Pause noch 12/21 Anwesende. Hmmm. Mir fällt auf, wie anstrengend das ist, online zu unterrichten. Nach 90 min. fühle ich mich als hätte ich 4 Blöcke gegeben. Wow. Geht es den Kids genauso?
Anschließend habe ich mich noch online mit A. getroffen. Sie war am Montag zusammen gebrochen, BEVOR sie ihre Klassenarbeit zurück bekommen hatte. Merkwürdig ist das schon. Meiner vorigen Klasse musste man ständig Druck machen, damit sie überhaupt ein wenig Motivation aufbauen, sich um ihre Abschlüsse zu schehren. Diese hier haben unglaublichen Druck, obwohl der gar nicht von außen kommt. Mit Ausnahme von Ls Eltern, baut niemand Druck auf. Sie könnten ganz entspannt lernen. Tun sie aber nicht. Sie haben Versagensängste, Leistungsdruck und ackern bis zum Umfallen. Wie oft habe ich in der 10. bis nachts um 2 gelernt? Ich habe null Erinnerung an solche Situationen. Bis früh um 4 einen spannenden Krimi gelesen- ja- daran erinnere ich mich.

Freitag: Im Online durchgeführten Klassenrat wurde heute beschlossen, dass man sich wochentags täglich online um 10.30 Uhr treffen wird. Mo, Di und Fr ist verpflichtend mit mir, weil wir da ohnehin Unterricht hätten. Mi und Do wäre freiwillig. Es wird immer ein Schüler eine Einladung in Telegram posten. Man arbeitet gemeinsam und wird versuchen, Lehrer einzuladen, die dann auch mal bei einigen Sachen helfen könnten. Respekt. Ich habe gleich Gänsehaut, wenn ich es nochmal nieder schreibe.

Montag: So viele Ideen und ich habe immer noch keine Lösung, wie man im Online-Video-Unterricht ohne Frontalunterricht auskommt. Zu morgen haben alle Kahoot vorbereitet. Alles scheint individueller zu werden.

Mein 9.November 1989

Die Wende? Habe ich verschlafen!
Es ist wahr. Ich habe die Wende verpasst. Die entscheidenden Minuten sah ich weder im
Fernsehen, habe ich nicht im Radio gehört, noch hat mich jemand angerufen, an die Tür
geklopft, auf dem Schulweg angesprochen oder irgendwie vorgewarnt.
Der Tag, der anders war.
Am 9. November hatte meine inzwischen lange verstorbene Großmutter Geburtstag.
1989 hatte sie in eine kleine Gaststätte in der Nähe ihres Pflegeheims eingeladen. Meine
Kinder: 1,5 und 4 Jahre alt, fuhren beim Spazierengehen auf ihrem Schoß im Rollstuhl mit,
tobten den halben Tag durch die Gegend oder mit Papa auf dem Spielplatz in der Nähe. Am
Abend waren sie entsprechend quengelig und unglaublich müde. Wir mussten noch das
bestellte Abendbrot aushalten und wussten: Am nächsten Tag muss Mama zur Schule.
Endlich im Trabbi gab es noch ein paar Schlaflieder von der Kassette und dann waren die
beiden auch ziemlich schnell auf der Rückbank eingeschlafen. Das Radio blieb aus, damit sie
nicht wach wurden. Zuhause hieß es für alle nur noch: Ab ins Bett. Wir schliefen völlig
erschöpft ein.
Am nächsten Morgen schlich ich mich aus dem Haus und ich fuhr mit dem Fahrrad zur
Schule. Bis dahin wusste und ahnte ich nichts.
Es muss so kurz vor 8 gewesen sein.
Auf dem Schulhof unglaubliche Unruhe.
Viele Grüppchen standen zusammen.
Als ich mein Fahrrad anschließen ging, klingelte es zum Reingehen. Ich war, wie immer spät
dran. Husch in meinen Klassenraum. Schön, den Morgen in der eigenen Klasse zu beginnen.
André, der Vorlauteste, begrüßte mich: „Na, sind Sie auch schon wieder da?“ Alle sprachen
durcheinander, ich verstand nichts.
Dann nahm ich (wie heute noch, wenn ich zuhören möchte) Platz auf dem Lehrertisch und
bat die Schüler, mir der Reihe nach zu erzählen, was passiert sei.
Was ich hörte, konnte ich einfach nicht glauben. Nicht erster April oder versteckte Kamera?
Meine müden Achtklässler berichteten mir, dass sie noch in der Nacht ihre ehemalige
Mitschülerin in Westberlin besucht hätten. Sie packten Schokolade und Bonbons aus, die sie
von Verwandten bekommen hatten und .... das Allererstaunlichste: Sie waren pünktlich zum
Unterrichtsbeginn da!
Dass ich dann mit meinen 25 Lenzen, auf meinem Lehrertisch sitzend, versuchte, ihnen das
madig zu machen; versuchte die ungeheuren (negativen) Konsequenzen mit ihnen zu
analysieren, ist mir heute noch unglaublich unangenehm.
Wenn ich an diese Klasse zurückdenke, verbinde ich mit ihnen so viele schöne und
interessante Erinnerungen, so tolle Erfahrungen, aber auch diesen peinlichsten Moment
meines (über) 30-jährigen Lehrerdaseins.

Kommentare von den damals anwesenden Schülern:
Nancy
Warum peinlich? Weil du da warst? 😂 und wir auch. Während ein nicht unerheblicher Teil
der Lehrer und Schüler dem Unterricht ferngeblieben ist. Ich hatte Angst, dass ich einige
meiner Freunde nicht mehr wiedersehe. So richtig greifen konnte ich das alles jedenfalls
nicht.
Torsten
Oh nein, da haben so einige gefehlt! Meine Mutter sagte noch zu mir. Du gehst auf jeden Fall
in die Schule und nach Schulschluss gehen wir rüber. Ich hab dann meiner Mutter danach
gesagt, dass wir uns das hätten sparen können 😎
Ich weiß noch, dass unser Sportlehrer über Ungarn rüber ist.
Angela
Ja, klar erinnere ich mich! Ich glaube, wir beide waren die einzigen, die in der Nacht nicht im
'Westen' waren und überlegt haben, ob die anderen alle spinnen! 😉
André
Ja, dass ich in der Schule war, kann ich mich erinnern. Mehr weiß ich auch nicht mehr.

Corona

Hunderte hochintelligente Lehrer versenden massenweise Aufgaben, die ihnen die Schüler "irgendwie" zurück senden sollen. Wenn ich dann frage, ob sie auch darauf vorbereitet sind, dass sie dann bei 200 Schülern pro Woche in drei Wochen 600 Arbeiten auf dem Tisch haben, schauen sie mich völlig entsetzt an. 600 Korrekturen von zT. ziemlich umfangreichen Aufgaben, die sie am Ende zwar korrigieren, aber nicht bewerten dürfen, natürlich zusätzlich zu VERA8 und VorMSA und diversen Klausuren, die ohnehin noch Stapel auf dem Schreibtisch bilden.

PS: Kollegen berichten von 100 Mail/Tag!

Der Titel...

...spielt weniger auf meinen Namen oder meine Figur an, er steht eher für Ungewöhnliches, Überraschendes, Neues, gänzlich Unerwartetes.

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Zuletzt aktualisiert: 3. Mär, 09:10

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